Irgendwie wird die Zeit immer schneller, je älter ich werde. Es ist deprimierend, das Ende meines Lebens näher zu sehen als den Beginn. Man füge dann noch ein paar der üblichen schlechten Nachrichten über Corona, die entsetzlichen Entwicklungen in den beiden größten Weltmächten und der Klimakrise hinzu, dann verstehst du vielleicht, warum ich es so schwer finde, regelmäßig Blogposts oder eMails zu schreiben. Es scheint alles so unwichtig.
Doch dann sehe ich meinen Enkel. Ich genieße, wie er jeden Tag neu entdeckt, jeden Menschen so akzeptiert wie er ist, mit Begeisterung neue Dinge lernt, ohne groß über morgen nachzugrübeln. Und ich entdecke meine Hoffnung wieder. Ich hoffe um seinetwillen, dass sich alles doch noch zum Guten wendet. Das ist es, was mich immer wieder antreibt, meine Geschichten zu schreiben.
Genießt die #kostenlose #Geschichte dieses Bloghops und besucht auch die anderen Autor:innen. Denkt daran, dass deren Geschichten leider nur auf Englisch zu kriegen sind. Aber wie immer sind es alles recht kurze Erzählungen, so dass ein Versuch nicht schaden kann. Und hinterlasse uns einen Kommentar. Wir lieben es, von dir zu hören. Das füllt unsere Herzen mit Freude, ganz gleich, was du uns sagen willst, denn es bedeutet, dass jemand das gelesen hat, was wir hier zur Verfügung stellen. Und in Zeiten wie diesen ist das wertvoller als alles andere!
Neue-Storch
„Vermisst du die Arbeit nicht?“, fragte ich Melinda.
„Ich lebe hier gerne alleine mit dir.“ Meine Tochter legte einen weiteren geflickten Socken beiseite. „Und vergiss nicht, dass uns die Inquisition hier niemals finden wird.“
Ich lächelte sie an, um ihr zu zeigen, wie sehr sich sie liebte, doch insgeheim sehnte ich mich nach etwas mehr, als nur zu überleben. Mit einem Seufzer spann ich weiter. Der regelmäßige Rhythmus des Rads und Melindas Atemgeräusche entspannten mich, so dass die innere Unruhe nachließ. Unsere Abendroutine wurde erst unterbrochen, als etwas Schweres gegen das Fenster unserer kleinen Hütte donnerte. Da es draußen dunkel war, konnten wir nicht erkennen, was es war.
Meine Finger legten automatisch die Spindel beiseite. Wir hielten beide die Luft an, fürchteten dasselbe. Aber kein Wutschrei war zu hören, keine Forke oder Fackel zu sehen. Etwas erleichtert, aber immer noch misstrauisch rief ich: „Wer ist da?“
„Schon-nnr üfung.“ Die Stimme klang, als würde jemand etwas im Mund halten und versuchen, darum herum zu sprechen. Melinda sah mich an, und ich sah Melinda an.
„Ich kenne jemanden, der so spricht“, flüsterte ich. „Aber die Stimme ist seltsam.“
Wer auch immer vor unserem Haus stand klopfte erneut gegen die dünne Scheibe, die den Wind von uns fernhielt. Wenn sie zerbrach würde der Winter seine eisigen Finger in unser Haus schicken. Also stand ich auf, um zu öffnen. Vorher ging ich aber am Herd vorbei und nahm das größte Messer, dass wir besaßen. Als die Tür aufschwang und den Blick auf einen etwa menschengroßen Drachen mit roten Schuppen freigab, ließ ich es fallen.
Dem Drachen hing ein Stoffbündel aus dem Maul. Als er Melinda hinter mir stehen sah, nahm er das Bündel in die Pranken und bewegte die Kiefer von einer Seite zur anderen, um die Muskeln zu lockern. „Ich verstehe nicht, warum der Boss darauf besteht, dass wir sie ihm Maul transportieren sollen“, sagte er und reichte ihr das Bündel. „Sonderlieferung für dich. Die Neue-Storch sendet ihre Glückwünsche. Ein Willkommensbonus ist der Lieferung beigefügt.“
Mit zitternden Fingern öffnete Melinda das Bündel.
„Es ist ein Junge“, sagte der Drache unnötigerweise. „Und Windeln sind auch dabei.“
Melindas Gesicht spiegelte den Schock, der mich hatte erstarren lassen. Ich musste mich mehrfach räuspern, bis ich endlich die Sprache wiederfand. „Warum schickt uns Storch ein Baby? Wir haben keines bestellt.“
„Neue Regeln.“ Der Drache lächelte und zeigte dabei mehr Zähne als ich im Augenblick vertragen konnte. Ich schluckte, und er lächelte noch breiter. „Wir haben noch ein paar Restposten, die auf die alte Art geliefert werden müssen. Deine Tochter war eine jener Empfängerinnen, die Storch persönlich ausgewählt hat.“
„Restposten? Erläutere das.“ Ich trat beiseite. Solange ich mich erinnern konnte war ich eine von Storchs Helferinnen gewesen, hatte zahllosen Müttern geholfen, nach der Lieferung mit dem schreienden Bündeln zurecht zu kommen. Ich hatte mein Handwerk von meiner Mutter gelernt und es an meine Tochter weitergegeben. Doch, seit die Inquisition begonnen hatte, uns Hebammen als Hexen zu verbrennen, waren wir untergetaucht. Bis jetzt mit Erfolg.
Der Drache rollte sich auf dem Flickenteppich in der Nähe des Herds zusammen und genoss die Wärme des Feuers. Er ließ ein paar glückliche Rauchkringel aufsteigen, bevor er sprach.
„Storch hat viele seiner Mitarbeiter verloren, als die Inquisition beschloss, dass Auslieferungen durch Störche Ketzerei seien und dass jeder, der daran glaubte, abergläubisch und somit zu bestrafen sei. Danach schossen die Leute, auf Störche.“ Er starrte eine Weile in die Flammen, so dass ich das Spinnen wieder aufnahm. Er seufzte zufrieden. „Wie ich schon sagte hat Storch auf diese Art viele Mitarbeiter verloren. Also entschloss er sich, einen direkteren Weg zu wählen. Einen, der nicht auf Storchtransporte angewiesen ist. Und ich hab ihm geholfen, das System zu installieren. Dafür war eine Menge Magie nötig, glaubt mir.“
„Ist ganz leicht erklärt. Die Samen werden bereits geerntet, wenn sie noch im Einzellstadium sind. Ein magischer Schlauch schickt sie dann auf direktem Weg in den Bauch der Mutter. Es klappt wunderbar. Wirklich.“ Er polierte seine Krallen und sah selbstzufrieden aus. „Und ich spielte eine große Rolle beim Entwickeln dieses Projekts, wenn ich mal so sagen darf.“
Wie konnte Storch Säuglinge direkt zu den Müttern bringen? Noch dazu in ihre Bäuche, wenn ich das recht verstanden hatte. Meine Augen weiteten sich, als ich begriff, was das bedeutete. „Wenn er das Paket in die Mutter hinein schickt, muss es irgendwann ja auch wieder heraus, oder?“
„Jup. Und genau deshalb lädt er dich zu einer Weiterbildung zum Thema ‚Geburt‘ ein. Das ist kurz für ‚Ganzheitlich Erleuchteter Binärer Uterus Radikal Transport‘, dem Namen der neuen Technik. Die Teilnehmerinnen des Kurses sollen das Wissen dann verbreiten.“
Mit einem Mal sah ich mein restliches Leben vor mir – stets unterwegs, um Frauen mit der ‚Geburt‘ zu helfen und Storchs neue Verteilungsmethode bekannt zu machen, so gut ich konnte, stets auf der Hut vor der Inquisition. Ab und an würde ich Melinda besuchen, die hier bleiben musste, um ihren Sohn zu versorgen.
Ich lachte laut. Schlagartig war das Leben wieder aufregend.
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Hier gibt es noch mehr Geschichten (allerdings nur auf Englisch):
Themenmonat April: Neuerscheinung und kostenlose Geschichte
Und schon wieder eine Veröffentlichung: Vom 19. of April an gibt es den dritten Sammelband meiner Märchenadaptionen auf Amazon (Ja, diesmal sogar in KU). Bei den anderen Verkaufsplattformen erscheint es dann in 90 Tagen. Wenn ihr die Geschichten noch nicht kennt, hier sind sie alle:
Today, you’ll also get a free short story from me and I hope you’ll like it. As usual there’s a list of more participants of this BlogHop after my story. Enjoy and leave a comment!
Ein toller Tag
Der erste April war der erste sonnige und warme Tag des Jahres. Natürlich beschloss meine Familie, auf der Terrasse zu essen. Der Himmel war so blau wie die Augen meines kleinen Neffen und kleine weiße Wolken zogen langsam über ihn hinweg. Vögel sangen überall, nicht nur im Garten meiner Eltern, und die Apfel-, Kirsch- und Birnbäume hoben weißen und rosa Blütenwolken der Sonne entgegen.
Ich liebte den Tag – bis mein Blick auf zwei kleine rote Kugeln inmitten der Kirschblüten fiel. Kirschen? Zu dieser Zeit des Jahres? Unmöglich! Es musste etwas anderes sein. Ich stellte den Stapel Teller ab, den ich zum Terrassentisch getragen hatte, drehte mich um und ging näher an den Baum heran.
Mir fiel die Kinnlade runter. Ein Elefant von der Größe eines Kleinwagens saß auf einem der Äste. Seine hellgraue Haut verschmolz perfekt mit den Blüten. Als er seine roten Augen auf mich richtete, stolperte ich rückwärts.
„Leute!“ rief ich. „Hey, Leute! Das müsst ihr sehen!“
„Was denn?“ Mein Bruder rief zurück. Er war gerade dabei, die Teller zu verteilen, die ich stehen gelassen hatte.
„Da ist ein verdammter Elefant in unserem Kirschbaum!“
„Ja, klar.“ Er lachte und arbeitete weiter. „Guter Versuch.“
Seine Kinder kamen angerannt und wollten wissen, wo der Elefant sei, aber als ich auf ihn zeigen wollte, war er verschwunden, egal wie sehr ich versuchte, ihn wieder zu finden. Die Kinder waren ziemlich enttäuscht.
„Das war kein sehr lustiger Aprilscherz“, sagte die Älteste, meine zehnjährige Nichte.
„Ich wollte den Elefanten so gerne sehen.“ Meine jüngste Nichte umarmte mich. „Es tut mir leid, dass er jetzt weg ist.“
Ich sah ihnen zu, wie sie über den blütenbedeckten Rasen rannten und dabei Narzissenbüscheln und Märzenbechern ebenso auswichen wie den schlaffen Krokussen und Schneeglöckchen, ohne es auch nur zu bemerken.
Als ich mich umdrehte, um einen letzten Blick in den Kirschbaum zu werfen, tauchte der Elefant wieder auf, weil er seine Augen öffnete. Wurde er wirklich unsichtbar, wenn er sie schloss?
„Toller Trick, was?“ Er zwinkerte mir zu.
Ich brauchte eine ganze Minute, um wieder zu Verstand zu kommen. Dann fragte ich: „Warum?“ Und als er nicht antwortete, erweiterte ich die Frage. „Warum hast du das gemacht?“
Er kicherte. Es war das seltsamste Geräusch, das ich je gehört hatte, eine Mischung aus einer verstopften Trompete und dem Quieken einer Maus.
Der Elefant spreizte seine großen Ohren, sprang vom Ast und schwebte in der Luft über mir. Mit seinem Rüssel tätschelte er den Scheitel meines Kopfes. „April, April!“
Er flatterte mit den Ohren, erhob sich in die Lüfte und verschwand innerhalb eines Herzschlages. Und ich stand da, starrte ihm hinterher und fragte mich, wie er mit geschlossenen Augen fliegen konnte.
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Hier gibt es noch mehr Geschichten (allerdings nur auf Englisch):
Pst, ich bin’s mal wieder. Ab sofort gibt es meine Märchenserie in vier Sammelbänden mit richtig geilen Titelbildern. Jedes Buch hat eine zusätzliche Bonusgeschichte erhalten. Wenn ihr die Märchen noch nicht in Einzelbänden habt, holt sie euch:
Heute gibt es eine kostenlose Kurzgeschichte von mir. Vorgabe waren: Valentin oder Liebe oder Anti-Liebe, Katze, Zauberbuch und Feuer. Ich hoffe, euch gefällt, was ich daraus gemacht habe. Wie immer gibt es für alle, die gut Englisch können, am Ende ein Liste mit weiteren Geschichten der anderen Teilnehmer:innen dieses BlogHops. Diese Geschichte ist auch gleichzeitig mein Beitrag zum Autoren-Osterkalender 2021. Dort gibt es viele weitere Geschichten auf Deutsch. Schaut doch mal vorbei! Viel Spaß beim Lesen und hinterlasst mir einen Kommentar!
Feuerherz
Mit Gregory zum Hexenjagderinnerungsfeuer zu gehen war Jackies Traum, seit sie mit dreizehn das erste Mal mitgehen durfte. Zwei Jahre später wurde er nun wahr.
Sie kämpfte gegen ihre Aufregung, während sie ihr bestes schwarzes Kleid anzog – das am wenigsten von der Sonne ausgeblichene – und dazu einen violetten Schal mit passender Leggings. Leider konnte sie gegen ihren zerbeulten Hexenhut und ihre Schnürstiefel nicht viel tun. Beim derzeitigen Stand der Finanzen der Familie, musste sie nehmen, was sie sich leisten konnten.
Wie war Gregory nur auf sie aufmerksam geworden? Normalerweise hing er mit den angesagten Mädchen rum. War ja auch egal. Er hatte sie zu seiner Partnerin gewählt, keines der anderen Mädchen.
Eingewickelt in den weiten, schwarzen Umhang, den sie von ihrer Großmutter – einer der letzten echten Hexen – geerbt hatte, wartete Jackie auf ihren Traumprinzen. Ihr Herz raste, als die Limousine vor dem Haus hielt.
Doch niemand öffnete ihr die Tür, und als sie schließlich allein einstieg, war der langgestreckte Raum mit den dunkelblauen Samtsitzen im Innern leer. Sogar die getönte Scheibe zwischen ihr und dem Fahrer war geschlossen. Sie hatte sich noch nie so einsam gefühlt. Die Enttäuschung machte ihr Herz schwer.
Gerade als sie die Limousine wieder verlassen wollte, fuhr der Wagen los. Die Tür schloss sich mit dumpfem Knall und Jackie fiel in einen der weichen Sitze.
Miau!
Das Geräusch kam aus einem der eingebauten Schränkchen am vorderen Ende des langen Raums, und der Befehl war eindeutig. So fest sie konnte in ihren Umhang gewickelt, öffnete Jackie die kleine Tür. Sie erwartete, jeden Moment von einer Furie angegriffen zu werden. Sie hatte wenig Talent, mit Hexentieren umzugehen.
Aber der Kater – schwarz mit weißen Vorderpfoten – verließ das Versteck mit erhobenem Schwanz und miaute erneut, als wolle er sagen: „Was hat das so lange gedauert?“ Er drehte sich um und starrte Jackie an.
Wenige Herzschläge später hielt die Limousine und die Tür wurde aufgerissen.
„Da ist die Prinzessin der heutigen Nacht!“ Gregorys Stimme war wie Honig und ließ ihre Knie weich werden.
Der Kater maunzte verächtlich und kratzte die ausgestreckte Hand, bevor Jackie sie nehmen konnte.
„Fuck, warum hast du denn das Monster mitgebracht?“ Gregory saugte an seinen Fingern, während Jackie aus der Limousine stieg.
„Der gehört mir nicht. Er war in einem der kleinen Fächer eingesperrt.“ Warum nur hatte sie das Gefühl, sich verteidigen zu müssen?
Gregory grunzte und nahm sie am Oberarm. Nicht gerade sanft zog er sie zu dem Weg, der den Hügel hinauf zum Feuerplatz führte. Wie es die Tradition verlange brannte es in einem Steinring auf der Spitze eines luftigen Hügels in der Nähe einer Quelle. Alle vier Elemente vereint waren das Zeichen dafür, dass die Hexenverfolgungen niemals wiederholt werden würden. Bei den Elementen hatten die letzten echten Hexen vor über hundert Jahren Frieden mit den Untalentierten geschlossen.
Jackie freute sich auf den Tanz ums Feuer. Wenn die Flammen langsam erstarben, würden die, deren Kräfte sich bereits manifestiert hatten, durchs Feuer springen. Die anderen würden warten, bis es nur noch glühende Kohlen waren.
Jackie liebte die Flammen. Ihre Familie bestand hauptsächlich aus Feuerhexen. Tief atmete sie den würzigen Geruch rauchenden Holzes. Er schien sie zu rufen, aber Nein. Das war nur dieser blöde Kater, der Gregory anfauchte.
Erst als sie sich den Jugendlichen näherten, die bereits ums Feuer tanzten fiel ihr auf, dass gar keine Erwachsenen da waren.
Wo waren die Betreuer? Sie hätte nie die Erlaubnis bekommen, hier zu erscheinen, wenn die Schule nicht angekündigt hätte, dass sie die Betreuer stellen würde. Außerdem begann Gregorys Griff an ihrem Arm langsam zu schmerzen. Sie wollte sich gerade umdrehen und gehen – selbst mit Gregory an der Seite wollte sie den Mobbern aus der Schule nicht ohne einen Erwachsenen in der Nähe begegnen – als zwei kräftig gebaute junge Männer auf sie zu traten. Der Mutter sei gedankt, Gregory hat seine Leibwächter mitgebracht, um mich zu beschützen. Jackie entspannte sich, als sie neben sie traten.
„Bist du ganz sicher?“, fragte Gregory jemanden hinter Jackie.
„Hexen brauchen bis zu fünfzehn Minuten, bevor sie brennen.“ Es war Dinas Stimme, und sie badete Jackie in Eiswasser.
Gregory nickte seinen Leibwächtern zu. Vier starke Hände packten Jackies Arme. Bevor sie auch nur protestieren konnte, flog sie ins Herzen des Feuers.
Die Hitze und der Rauch des brennenden Holzes brannten auf der Haut und erschwerten das Atmen. Tränen schossen ihr in die Augen. Ranken aus Feuer schienen sich um ihre Arme und Beine zu wickeln und den Flug zu verlängern. Heiße Luft brachte ihre Haare zum Tanzen.
Miau! Der Kater sprang ihr nach und gemeinsam landeten sie in einem Funkenregen auf weißglühenden Kohlen. Jackie fiel vorwärts und ihre Hand prallte auf einen brennend heißen Kiesel. Trotzdem schlossen sich ihre Finger instinktiv darum. Um ihn genauer anzusehen, blinzelte sie die Tränen fort. Mit leisem Zischen tropften sie auf den heißen Stein, wo sie von den Flammen aufgeleckt wurden. Die heiße Luft trug den Dampf davon.
Da veränderte sich der Kiesel. Er wurde größer, länger, wuch sich zu einem Rechteck aus, flach und weich anzufassen. Die Ecken verwandelten sich in vergoldetes Metall. Ein Zauberbuch? Nur echte Hexen besaßen welche.
Jackie war so aufgeregt, dass sie die ungemütliche Situation nicht mehr wahrnahm.
„Ich wusste es,“ sagte der Kater. „Von dem Moment an, als mein Blick auf dich fiel, wusste ich, dass du eine echte Hexe bist. Eine der wenigen Hexen, die alle vier Elemente ausbalancieren können.“
„Du kannst sprechen?“ Mit einem Mal waren Gregory, Dina und all die anderen weiter weg als der Mond.
„Was glaubst du, wie ich dich sonst unterrichten könnte?“ Der Kater setzte sich und begann sein hochgestrecktes Hinterbein zu lecken. „Willst du sie gar nicht bestrafen?“
„Das klingt wie eine echt gute Idee.“ Jackie grinste und zog das Feuer an sich. Flackernd und glühend kam es Flamme um Flamme zu ihr, kletterte ihre Beine hinauf und verteilte sich über ihren Körper, ihr Gesicht, ihre Haare und ihre Arme. Wie eine lebende Fackel trat sie aus dem Feuer.
Gregory wurde bleicher als der weiße Sand am Meer. Ohne seine Leibwächter wäre er auf den Boden geprallt. Sie trugen ihn so schnell sie konnten den Hügel hinab. Ihnen folgte Dina, die während des Laufens wie eine Banshee kreischte. Die meisten anderen jungen Leute flohen ebenfalls. Nur eine Handvoll griff beherzt nach Decken und dem Feuerlöscher.
Bevor sie etwas tun konnten, schickte Jackie die Flammen zurück ins Feuer.
„So bleibt mehr für uns,“ sagte sie zu den verdutzten Helfern und zeigte auf den langen Tisch, der über und über mit Delikatessen beladen war. „Lasst uns feiern!“
Der Kater kam aus den Flammen und setzte sich neben sie. „Ich bin ziemlich stolz darauf, dass du niemandem wehgetan hast.“
„Die rennen nach Hause zu ihren Mammas und Pappas und heulen, dass sie mich umgebracht haben.“ Jackie sprach mit Feuer in der Stimme. „Sollen sie sich doch für eine Weile selbst Ärger einbrocken.“
„Hah! Ich wusste, dass du die richtige Hexe für mich bist.“ Der Kater ließ die Zunge heraushängen, und es sah genau so aus, als würde er lachen.
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Weitere Teilnehmer:innen am BlogHop und ihre Geschichten:
Nichts ist erschreckender als die Ereignisse dieses Jahres, und es gibt nichts, was wir dagegen tun können, außer uns und die Leute um uns herum so gut es geht zu schützen. Aber vielleicht finden wir ein wenig Abwechslung in den coolen Mini-Geschichten, in denen der Grusel wohlige Schauer oder ein Schmunzeln auslöst und 100% Nicht-2020-realistisch ist. Also sind hier ohne Umschweife meine Geschichte und die der anderen 10 Teilnehmer*innen des 2020 Halloween Bloghops.
Wenn ihr gut Englisch könnt und Hörbücher mögt, findet ihr viele der Bloghop Geschichten(einschließlich meiner) in in den beiden letzten Episoden des Podcasts „Alone in a Room With Invisible People“ (dessen Halloween-Geschichten-Episoden ich nur wärmstens empfehlen kann; alle anderen Forlgen sind nur was für Autor*innen oder solche, die uns verstehen lernen wollen). Genießt die Jahreszeit (und meine geschichte) und – wie immer – denkt dran, die anderen Teilnehmer zu besuchen (die Liste ist ganz unten; alle anderen Geschichten sind nur auf Englisch verfügbar).
Die Hexe am Ende der Straße
Für mich ist Halloween ein Albtraum. Mom drängt mich immer engverbundenen Gruppen von Freunden auf, die mich nicht um sich haben wollen. Ich hasse es, so zu tun, als hätte ich Spaß daran Süßigkeiten zu erbetteln. Doch dieses Jahr ist es besonders schlimm. Sie schubst mich auf die Gruppe Jungs aus meiner Schule zu, die sich gegen mich verschworen haben. Meine Arme, Beine und der Rücken schmerzen noch immer von der Prügel, die sie mir verpasst hat, als ich darum bat dieses Jahr daheim bleiben zu dürfen.
Zu meiner Überraschung geht die Trick-oder-Streiche Aktion zunächst friedlich los, auch wenn die gelegentlichen Knüffe der anderen weh tun. Doch dann erzählt uns Gordon von der Hexe am Ende der Straße.
“Sie verwandelt Süßigkeiten in Steine.” Er grinst mich diabolisch an und ich zittere vor Angst. Nicht wegen der Hexe – wir würden dort nicht hingehen, wenn es sie geben würde – sondern wegen des Versprechens, mir meine Süßigkeiten wegzunehmen, das ich in seinen Augen lesen konnte. Je näher wir dem Haus der Hexe kamen, desto schneller schlug mein Herz. Es fiel mir schwer, mit den anderen zu singen, aber meine schmerzenden Körperteile erinnerten mich an Moms Wut und so machte ich weiter.
“Du zuerst!” Gordon schubst mich die Stufen hoch. Auf der Veranda stehen ein paar Topfpflanzen, neben denen eine schwarze Katze mit weißen Pfoten sitzt. Ich mache mir fast in die Hose. Das wars! Jetzt verliere ich meine Süßigkeiten, und Mom wird mich totschlagen. Ich suche vergeblich nach einer Lösung, währen ich mit zitternden Fingern an der Tür klingle.
Eine steinalte Frau öffnet die Tür. Sie wirkt älter als jede andere Frau, die ich in meinem Leben gesehen habe.
“Da seid ihr ja!” Ihre Stimme ist überraschend freundlich. “Ich habe schon auf euch gewartet, Faulpelze.”
Ich fange an zu singen, höre aber sofort wieder auf, als ich merke, dass die anderen nicht mitsingen. Als ich mich umsehe, starren die Jungs die Frau an, reglos und mit offenen Mündern.
“Aha. Nicht verzaubert?” Sie zwinkert mir zu. “Also bist du eine von uns, was? Interessant.” Sie wendet sich den anderen zu und tippt Gordon auf die Stirn. “Du wirst aufhören, anderen Leuten wehzutun. Du findest dein Glück in den Wäldern.”
Er marschiert mit glasigem Blick davon. Die Hexe tippt jeden einzelnen Jungen an und befiehlt ihm etwas. Schweigend marschieren sie einer nach dem anderen davon. Also gibt es doch Hexen. Ich bin fasziniert.
Als sie sich zu mir umdreht, schießt mir die Angst eiskalt durch die Adern. Obwohl ich fort rennen will, bewegen sich meine Beine nicht. Mein Herzschlag übertönt alle Geräusche außer meines Herzschlags und ihren Worten.
“Für dich brauche ich etwas ganz besonderes.” Sie umschließt mein Gesicht mit beiden Händen. Kaum lauter als ein Flüstern entweicht mir ein Schrei. Sie lächelt und ihre Augen sind voll Mitgefühl. “Ich wiß, Liebes. Sei stark. Es ist ruckzuck vorbei.” Sie küsst meine Stirn und mir wird warm.
Dann stehe ich in Moms Küche, die Arme schützend über den Kopf gelegt. Alles tut weh. Steine haben sich aus dem Plastikkürbis über den Tisch verteilt. Meine Arme sind mit frischen blauen Flecken übersät, und Mom hebt schon wieder den schweren Holzlöffel.
Die Hexe packt ihr Handgelenk.
Blaues Licht leuchtet zwischen ihnen auf.
Ich kann kaum atmen.
Die Hexe verändert sich, wird Mom immer ähnlicher, während Mom immer älter und zerbrechlicher wird. Schließlich verschwindet sie.
“Endlich!” Die Hexen-Mom reicht mir einen Beutel mit Süßigkeiten. “Zeit für einen Neuanfang für uns alle beide, oder?”
Wenn euch die Geschichte gefallen hat, oder ihr sonst etwas auf dem Herzen habt, lasst mir einen Kommentar da. Ich antworte, so schnell ich kann. In der Zwischenzeit lest ruhig die Geschichten der anderen (nur auf Englisch):
Wenn du in letzter Zeit meine Blogbeiträge gelesen hast, wirst du wissen, dass mir bisher gelingt, meine Jahreschallenge (ein Buch pro Monat zu veröffentlichen) einzuhalten. Lest gerne noch einmal die vorherigen Blogbeiträge zu den Neuerscheinungen. Jetzt ist es aber Zeit für den vierteljährlichen „Storytime Bloghop“. Es gibt wieder kostenlose Flash Geschichten von mir und 9 Mitstreitern. Hoffentlich gefällt euch meine Geschichte, obwohl sie etwas länger als üblich ist. Und denkt wie immer daran, die anderen Geschichten zu lesen (leider nur auf Englisch). Eine Liste mit Links findet ihr unter meiner Geschichte.
Der Hüter des Sandvipertempels
Es war einmal ein Land mit Sand, und Sand, und Sand, und Sand, und Sand.
Gaspard stand am Eingang des Tempels der Sandgöttin, die fünf Finger seiner rechten Hand fest um den Speer geschlossen und die beiden nackten Füße in leichtem Abstand in den warmen Sand gegraben. Er hielt Ausschau nach Pilgern, erwartete aber keine. Die Knochen der letzten Person, die den Weg durch das endlose Sandmeer gewagt hatte, waren vom ewigen Wind längst zu Staub zermahlen. Nach Aussage der Göttin war er ein böser Mann gewesen, der vor lauter Gier nach Gold seine Frau schlug und sein eigenes Kind beinahe getötet hätte.
Als ob Gold irgendeinen Wert hätte. Gaspards größter Traum war es, einmal im Leben irgendeinen Fremden zu treffen, aber die Chancen dafür waren gering. Er fragte sich, was aus seiner Vorgängerin geworden war. Hatte sie je eine Welt mit mehr Farben gesehen als Schattierungen von Braun, Beige, Weiß und Blau? War sie gestorben? Oder nur vor ihrer Aufgabe geflüchtet?
Er stellte sich vor, wie es wäre, endlich Wesen wie die zu treffen, die er aus den Büchern kannte die ihm die Göttin zum studieren gab. Ihn faszinierten die Langhornantiloppen von Quasrom mit ihren schlanken Hälsen und den drei-fingrigen Händen genauso wie die fliegenden Waale von Whattler III oder die gefiederten Dinosaurier von Permia.
Der Klang der letzten Sirene riss ihn aus den Gedanken.
Besucher?
Auf dem letzten Hügel vor dem Tempel, wo die Sirene mit Magie auf einer Sandsäule stand, hob eine Gruppe Praying Mules die spitzen Vorderhufe im Gebet. Die langen Ohren mit dem weichen Fell fielen ihnen auf den Rücken, als sie ihre Gesichter mit den langen Schnauzen gen Himmel hoben. Die weichfelligen, aufrechten Körper schienen kerngesund.
Gaspards Unterkiefer fiel herunter. Selbst in seinen Büchern waren Qumrander kaum mehr als ein Gerücht. Das Fell auf ihren Wangen und an der Schnauze leuchtete in der grellen Sonne beinahe weiß. Wenn Gaspards Bücher recht hatten, zeigte das an, dass sie von Adel waren.
Nach einer Weile beugten sich vier der Praying Mules vor und hoben etwas Weißes, Kuppelförmiges auf, das sie zuvor abgesetzt haben mussten. Der fünfte ging voraus. Alle trugen nur noch Lumpen, die kaum ihre Hüften bedeckten, aber die zahlreichen Wasserschläuche, die sie umgehängt hatten, zeigten Gaspard, dass sie gut vorbereitet waren.
Staunend sah er zu, wie die Gruppe die letzten hundert Meter der Sandwüste auf die gigantische Klippe aus prähistorischem Sand zuging, in der der Eingang des Tempels lag.
Die weiße, kuppelförmige Struktur, stellte sich als eine Trage mit einem Dom aus weißen Stoffen heraus. Sie sangen die alten Lieder, Melodien, die Gaspard bisher nur sich selbst hatte singen hören.
Die Mules kamen zügig näher, und Gaspard fiel erst im letzten Moment seine Aufgabe wieder ein.
“Halt, im Namen der Göttin!” er senkte den Speer und zeigte mit der Spitze auf die muskulöse, behaarte Brust des Anführers. “Was ist euer Begehr?”
Einige Herzschläge lang sprach niemand. Gaspard fragte sich, ob er trotz seines Trainings mit fünf offensichtlich zielstrebigen Praying Mules fertig werden würde.
“Wir kommen, um mit der Göttin zu verhandeln”, sagte der Anführer.
Bevor Gaspard antworten konnte, erhob sich eine Sandviper neben ihm, die genauso groß war, wie die Praying Mules. Ihre Obsidianschuppen zischten leise, als der Sand ihren Körper hinab rann. Gaspard musste sich zwingen, nicht zusammenzuzucken. Es war bereits einige Zeit her, dass die Göttin in ihrer Lieblingsform erschienen war.
“Ich habe so furchtbar lange auf dich gewartet, Gardella,” sagte sie mit ihrer warmen, melodiösen Altstimme. “Hast du je darüber nachgedacht, was deine Abwesenheit für ihn bedeutet?”
Der weiße Stoff der Kuppel wurde von einer Hand mit fünf Fingern beiseite geschoben, die die Farbe von nassem Sand hatten. Zum Vorschein kam eine schlanke Person ohne Fell mit langen schwarz-weiß gemischten Haaren. Anders als die seitwärts ausgerichteten Augen der Mules blickten ihre nach vorn, und es gab eine klare Trennung zwischen ihrer Nase und dem Mund. Ein ähnliches Gesicht sah Gaspard jeden Morgen im Spiegel.
Es fiel ihm schwer, die menschliche Frau nicht anzustarren. Sein Herz raste und aus unerfindlichen Gründen fürchtete er sich mit einem Mal. Er trat dichter an den waren Körper der Sandviper heran und ihre Schwanzspitze streichelte beruhigend seinen Rücken auf eine Weise, die für die Besuchergruppe unsichtbar sein musste. Gaspard war dankbar und entspannte sich etwas.
“Ich wollte längst zurück sein,” sagte die Frau, die Gardella hieß. “Doch ich wurde krank. Und nachdem ich mich erholt hatte, wollte mich das Oberkommando nicht gehen lassen. Sie versetzten mich in einen völlig anderen Quadranten und behaupteten, ich sei durch den Verlust meines Mannes und Kindes traumatisiert. Als ich die Truppe verließ, machten siemir das Reisen schwer. Ohne diese wunderbaren Leute,” sie zeigte auf die Praying Mules, “hätte ich es gar nicht geschafft, zurückzukommen. Es tut mir leid, Zulussa.”
Die große Schlange zitterte. Weinte sie? Gaspards Kehle wurde trocken. Was hatte das zu bedeuten?
“Er gehört jetzt mir. Ich habe ihn erzogen. Ich habe die Zeit für ihn verlangsamt, damit er heilen und leben konnte.” Die Stimme der Göttin bebte. “Ich werde um ihn kämpfen.”
Gardella schwang die Beine von der Trage und humpelte vorwärts. Einer ihrer Füße war verdreht und klobig wie eines der fossilisierten Wesen im Sand des Tempels. “Ich bin nicht gekommen, um dir dein Kind zu nehmen.” Sie lächelte, aber ihr Blick blieb traurig. “Mein Kind.”
Während sie Tränen weg blinzelte, zerbrach Gaspards Welt, als wäre der Boden unter seinen Füßen mit einem Mal verschwunden.
“Ich war dir keine Mutter, Gaspard. Ich hatte nie die Chance dazu.” Ihr Blick traf seinen und ihre Liebe umfing ihn genauso wie Zulussas, die er immer als selbstverständlich angenommen hatte. “Aber ich bin gekommen, um die die Freiheit zu geben, andere Welten zu bereisen. Die Praying Mules schulden mir viel. Sie werden alles für dich tun und dir alles zeigen.” Sie wandte sich an die Göttin. “Und ich werde bei dir bleiben, Zulussa. Solange ich noch lebe, wirst du nicht mehr alleine sein. Außerdem habe ich tonnenweise neue Geschichten zu erzählen.”
Die Sandviper veränderte die Form, und eine rundliche Frau mit sandfarbenen Haaren und einer Haut aus Obsidian schlang die Arme um Gardella. “Ich habe dich so sehr vermisst, Liebste.”
Und mit einem Mal ergaben die vielen kleinen Puzzleteile für Gaspard einen Sinn. Der namenlose Mann, dessen Knochenstaub der Wind davongetragen hatte, die Göttin, die seine Mutter war, und die Abwesenheit seiner Mutter. Sein Herz schwoll und füllte sich mit Liebe für die beiden Frauen, die seine Familie waren. Ja, er würde mit den Mules gehen. Er würde den Leuten da draußen von einem vergessenen Tempel im Sand erzählen, und bei seiner Rückkehr wäre Einsamkeit für sie alle kein Thema mehr.
Wen dir die Geschichte gefallen hat oder du irgendetwas anderes auf dem Herzen hast, schreib mir einen Kommentar. Ich antworte, so schnell ich kann. In der Zwischenzeit lies doch ruhig die anderen Geschichten:
Ich habe es geschafft. Der erste Band mit Kurzgeschichten dieses Jahr ist raus, wenn auch nur auf Englisch (die Deutschen muss ich in aller Ruhe noch übersetzen). Diese Sammlung dreht sich um Portale. Wer gut Englisch kann und sich dafür interessiert, sollte mit der kleinen Flagge ganz oben mal zu meiner Englischen Seite wechseln. Da gibt es mehr Informationen.
Nun aber zu der kostenlosen Flash Fiction Geschichte über eine ziemlich verwirrte alte Frau, die ich für den vierteljährlichen Storytime Bloghop geschrieben habe. Hoffentlich gefällt sie euch (vergesst nicht, die anderen Teilnehmer zu besuchen, falls ihr einigermaßen Englisch versteht. Das lohnt sich eigentlich immer).
Familientreffen
Der Tag verebbte und es wurde Nacht. Ohne Mondlicht war es so dunkel im Haus, dass Jane nicht sehen konnte, wo sie war. Sie hatte nur ein vages Gefühl von Alter und viel Platz. Staubkörnchen schwebten in der Luft, die sie mehr roch als sah.
Die ganze Welt schien ein wenig in Schieflage geraten zu sein. Wenn sie versuchte, aus einem Fenster zu sehen, bewegten sich die Vorhänge nur, wenn sie ihre ganze Kraft einsetzte. Und wenn sie sich in der Küche ein paar Eier braten wollte, stapelte sich in der Spüle unter dem Fenster jeden Tag anderes Geschirr. So als würde es jemand dort hinlegen, um sie zu ärgern.
Gab es einen Geist im Haus? Ihr fiel ein, dass ihr ihre Oma – vor Ewigkeiten, als Jane noch jung gewesen war – oft mit gedämpfter Stimme von dem jungen, gutausehenden Prinzen erzählt hatte, der in diesem Hause ermordet worden war und es nun heimsuchte.
Jane schüttelte den Kopf. Es gab keine Gespenster. Denn wenn sie sich irrte und es den Prinzen doch gab, hätte sie ihn doch längst bemerken müssen, oder? Immerhin lebte sie schon seit ihrer Hochzeit vor fünfundsechzig Jahren hier.
Sie tastete sich ins Wohnzimmer vor. Dort hing eines dieser großen, modernen Fernsehgeräte an der Wand. Sie konnte sich nicht daran erinnern, es gekauft zu haben, aber wo es schon einmal da war, konnte sie es auch benutzen. Das Wohnzimmer roch nach abgestandenem Bier, und sie rümpfte die Nase. Wollte sie jemand absichtlich wütend machen? Aber wer nur?
Sie hatte keinen Untermieter, obwohl ihr Katie das schon oft vorgeschlagen hatte. Vielleicht hatte ihre Tochter recht. Das Haus war wirklich ziemlich groß für nur eine Person.
Aber sie war noch nicht bereit, das Leben aufzugeben, das sie so viele Jahre geführt hatte. Die Erinnerung an Todds Tod trieb ihr immer noch die Tränen in die Augen. Die klebrige Nässe schmeckte nach Salz, was sie an die vielen Male erinnerte an denen sie mit ihrer Tochter ans Meer gefahren waren. Das waren Zeiten … Sie seufzte, und es lag eine ganze Menge Sehnsucht in diesem Laut.
Wenn nur ihr Tag-Nach-Rhythmus wieder besser werden würde. Die Pillen, die sie schluckte, halfen gar nicht. Sie schlief immer noch bei Sonnenaufgang ein und verlor sich den größten Teil des Tages in wirren Träumen, bevor sie mit Beginn der Abenddämmerung wieder erwachte. Wenn sie das nur wieder hinkriegen könnte, müsste sie sich nicht immer so auf Katie verlassen.
Armes Kind. Sie ging zum Kamin und betrachtete Katies Schulabschlussfoto. Wie groß die Kleine doch geworden war. Jane runzelte die Stirn. Sie musste wirklich mal ein Wort mit der Zugehfrau wechseln. Schließlich bezahlte sie nicht für Spinnweben und Staub.
Die altmodische Standuhr im Flur schlug melodisch die volle Stunde. Jane liebte diese Uhr. Sie war ein Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern gewesen. Automatisch zählte sie die Schläge.
Neun, zehn, elf … zwölf. Mittag! Ein Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln. Todd würde jede Minute nach Hause kommen. Sie musste ihm das Mittagessen richten.
Mit federnden Schritten eilte sie in die Küche – war es etwa schon Winter? Es war ja so dunkel – schnappte sich eine Pfanne, die Ölflasche und Eier, stellte alles zurecht und schaltete den Herd an.
Jemand schnappte hörbar nach Luft.
„Seht ihr, ich habe es ja gesagt.“ Obwohl die Person flüsterte, erkannte Jane die Stimme. Sie stemmte die Hände in die Hüften.
„Katie Johanna Louise Hawkins. Komm raus, wo auch immer du dich versteckt hältst. Das ist alles andere als höflich, und könnte deinen Vater zu Tode erschrecken. Du weißt doch, wie schlimm es in letzter Zeit um sein Herz steht.“
Katie stand auf der anderen Seite des Küchentisches auf, nur schwach beleuchtet von dem wenigen Licht der Straßenlaterne vor dem Küchenfenster, das die Vorhänge hindurchließen. Ein schlanker Junge, der genau so aussah wie Todd in jungen Jahren, klammerte sich an ihren Arm, und ein dunkelhaariges Mädchen versteckte sich halb hinter ihr.
Jane runzelte die Stirn. Da waren graue Strähnen in den braunen Locken ihrer Tochter. Aber … aber … sie hatte doch erst vor wenigen Wochen das Studium abgeschlossen. Oder nicht? Und wer waren diese Teenager?
„Mom?“ Katies Augen waren größer als Jane sie je gesehen hatte. Die arme Kleine. Immer noch so schreckhaft wie ein Hase.
„Ach Liebes, es tu mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Sie lächelte beruhigend und breitete einladend die Arme aus.
„Aber du bist …“ Katie und die Teenager traten einen Schritt zurück. Alle drei wurden sehr blass, als Jane ihnen folgte. Ihre Blicke klebten an Janes Bauch. Jane sah an sich herab und erblasste ebenfalls. Sie stand direkt in der Mitte des Küchentischs. Wie hatte sie das gemacht?
Aber sie wusste die Antwort.
Auf einen Schlag war alles wieder da: der kurze, scharfe Schmerz in ihrer Brust, das Weinen von Katie und ihren Kindern, der betäubende Geruch weißer Lilien, und die Tatsache, dass sie neben ihrem Körper gestanden und zugesehen hatte, wie sie der Bestatter nach der Totenwache abgeholt hatte.
Schwere Stiefel polterten auf dem Steinboden des Flurs vom Hintereingang. Katie und die Teenager wurden noch blasser, sie wirkten wie Leichen, und wichen der Tür aus. Diese schwang mit einer Kraft auf, die Jane nur zu gut kannte.
„Liebling!“ Todd öffnete seine Arme weit. Er war so stark, seine Schultern so breit und der Geruch von Leder und Tabak so intensiv, dass sie beinahe vor Freude geweint hätte. Und seine Stimme … seine Stimme ließ immer noch fröhliche Schauer über ihren Rücken tanzen. „Ich habe dich seit deinem Tod überall gesucht.“
„Ich glaube, ich hatte mich ein wenig verloren“, sagte Jane und warf sich in seine Arme. Verschwunden waren die Jahre, die Lücken in ihrer Erinnerung und die Pfunde, die sie im Leben dazugewonnen hatte. Sie fühlte sich wieder jung.
Den Schlag der Standuhr zur vollen Stunde hörte sie nicht mehr.
Wenn euch die Geschichte gefallen hat oder ihr sonstwas loswerden wollt, hinterlasst mir gerne einen Kommentar. Ich werde schnellstmöglich antworten. In der Zwischenzeit lege ich euch die Geschichten der anderen Bloghop Teilnehmer ans Herz:
Und wieder einer … Aber dieses Mal bin ich besser vorbereitet. Ich habe all mein NaNoWriMo-Zeugs auf der Reihe (morgen mehr darüber). Und eine gute Halloween-ige Geschichte wartet auf euch bei diesem Bloghop (Hoffentlich stimmt ihr zu, dass sie gut ist. Sie funktioniert sicher nicht für jeden). Ich habe sie zu dem besten Podcast über Kreatives Schreiben (nur Englisch) geschickt, den ich je gehört habe: „Alone in a Room With Invisible People“. UND DIE GESCHICHTE IST ANGENOMMEN WORDEN! YAY! Ihr könnt die englische Fassung dort demnächst hören.
Und hier ist sie. Happy Halloween für alle die es feiern:
Eure Majestät
Zufrieden mit dem Makeup, das sie wie ein totenbleichen viktorianischen Vampir aussehen ließ, schloss Anne ihren Handspiegel und trat durch die Türen des Golf Clubs. Heute Nacht würde sie ihren zukünftigen Ehemann verzaubern, jemanden mit Geld. Kein vernünftiger Mann würde ihrer Verführungskunst widerstehen können. Sie suchte den überfüllten Raum nach unbekannten Gesichtern ab und hoffte, dass keiner der Stammgäste bemerkte, dass sie dasselbe Kostüm wie letztes Jahr trug. Die Frisur hatte den Rest ihres Geldes verschlungen.
Sie würdigte Männer mit teuren Eheringen keines Blickes, denn sie brauchte jemanden, der ungebunden war. Ein wohlgerundeter Hintern in einem Armani Anzug, der sich zur Musik wiegte, erregte ihre Aufmerksamkeit. Die Hände waren frei von Schmuck. Das Gesicht ihres potentiellen Ehemanns, als er sich dann umdrehte, war nicht berauschend, würde aber gehen. Schließlich war sie nicht auf der Suche nach Mister Universum.
Seine Aufmerksamkeit zu erregen dauerte nur wenige Herzschläge. Lächelnd bat er sie zum Tanz. Anne presste ihren Körper eng an den seinen und spürte seine Erektion durch den Stoff ihrer Kleider. Hab ich dich! Sie redeten nicht. Als sie aufblickte, die Lippen wie für einen Kuss leicht feucht, glühten seine Augen rot.
„Du warst die ganze Zeit so verführerisch nahe.“ Seine Stimme war rau. „Komm mit mir. Ich gebe dir alles, wovon du je geträumt hast.“
Er humpelte und sie verlor den Rhythmus. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Bein, doch ihr Blick klebte an seinem Gesicht. Sein Lächeln ließ ihre Nippel vor Erregung und Angst hart werden. Hatte er wirklich versprochen, all ihre Wünsche wahr werden zu lassen? Ihr Blick glitt an ihm vorbei, und sie runzelte die Stirn.
Die Menschen um sie herum hatten sich verändert und trugen jetzt wenig farbige Kleidung aus Goldbrokat, gerade so wie sie. Wo waren sie? Oder besser, wann waren sie?
„Du könntest die Geliebte eines Papstes sein.“ Ihr Partner zeigte auf einen fetten Mann mit einer Hakennase in einem roten Mantel. Zahlreiche Juwelen ließen seine Finger glitzern. Als er lächelte, waren seine Zähne schwarze Stümpfe. Anna schüttelte sich.
„Nun ja, wenn Roderic de Borja nicht nach deinem Geschmack ist …“ Ihr Partner wirbelte sie herum und die Szenerie und ihre Kleidung veränderten sich erneut. Jetzt trug sie einen Umhang mit steifem Halstuch, und ihr Busen kämpfte gegen ein Kleid mit einem Reifrock aus Walfishbarten. Ihr Tanzpartner deutete mit einem Nicken auf einen kräftig gebauten Mann, den sie aus einem Geschichtsbuch kannte—irgend so ein König von England.
„Besser? Er wird dich zu seiner Königin machen.“ Die Augen ihres Partners funkelten.
Reichtum und Macht! Alles, was sie wollte. Das war der Richtige. Doch eine Frage hatte sie noch. „Warum kann ich nicht in meiner eigenen Zeit bleiben?“
„Weil du heute Nacht sterben würdest.“ Das rote Leuchten seiner Augen wurde stärker. In ihnen sah sie sich selbst in einer Pfütze aus Blut liegen. Sie schluckte.
„Also, wer soll es sein? König oder Papst“
Sie zögerte nicht. Als Königin wäre sie reich und mächtig. Kein Mann der Welt würde es wagen, sich ihren Annäherungsversuchen zu verweigern, egal wie alt sie wäre. Außerdem war der König nicht so fett wie der Papst.
Bevor sie ihre Antwort aussprechen konnte, verbeugte sich ihr Tanzpartner, küsste ihre Hand und sagte: „Lebe wohl, Anne Boleyn. Wir werden uns wiedersehen.“ Mit einer weiteren Verbeugung verblasste er.
Es ist schon wieder Zeit für den vierteljährlichen Blog Hop. Wie die Zeit fliegt! Mein Enkel rutscht zur Zeit auf dem Bauch herum und versucht immer wieder zu krabbeln, und zwei Zähne hat er auch schon. So langsam fine ich einen neuen Rhythmus und kann endlich wieder schreiben. Hoffentlich gefällt euch diese Geschichte, die ganz lose auf meiner Erfahrung basiert, wie es ist, überraschend Großmutter zu werden. Bitte verzeiht, dass ich sie diesmal nicht übersetzt habe, aber ich habe eine Familie aus Amerika zu Besuch und mir fehlte einfach die Zeit. Die Links zu den anderen TeilnehmerInnen des Blog Hops (alle Geschichten auf Englisch) findet ihr wie immer unter meinem Beitrag.
Surprise
“Well, you could come in today but only the male doctor will be there,” the gynecologist’s receptionist said. I knew that wouldn’t do. My daughter would never see a man – not when it was her first visit to a gynecologist. I told the receptionist, just as I had told her about the low but persistent abdominal pain Shelly was experiencing. It wasn’t urgent but it definitely needed someone looking at it.
“Well Dr. Paulsen won’t be in before tomorrow. I’ve got a free slot at 9am.”
I smiled and sent a sliver of pleasurable magic through the phone for the woman. “That’s splendid. We’ll be there on time.”
***
The next morning, my daughter – a little grumpy from getting up this early – and I climbed the two floors to the gynecologist. After the usual paperwork, the receptionist left us in a room with a desk and the gynecological chair. Her smile was meant to be reassuring. “The doctor will be with you in a few minutes.”
Shelly looked at me with a frown. “I won’t sit on that one.” She nodded to the chair.
Before I could answer, the doctor came in. She was a petite woman with brown hair, a white lab coat and tired eyes. “Welcome.” She shook our hands and smiled at my daughter. “It looks as if it’s coming soon. Who’s your regular gynecologist?”
My jaw dropped and for the first time in a long, long while I didn’t know what to say. My daughter’s face must have mirrored my surprise because the doctor said, “Don’t tell me you didn’t know.”
There was no answer to that, but my daughter was too shocked to make a fuss when the doctor examined her. I didn’t even need my magic to soothe her.
“Dear me.” Dr. Paulsen’s eyes widened. “It’s coming right now!” She nearly fled the room to call an ambulance.
While we waited, Shelly’s contractions intensified. She moaned with pain, and my heart hurt in sympathy. At least I now knew her sudden gain in weight hadn’t been due to obsessive eating or cancer or any of the other diseases I had feared. Still, I suffered with her every time the contractions hit. She squeezed my hand as if she meant to crush every single bone to pulp, and it took all my strength not to use a calming spell on her. According to my own mother that would interfere with the baby’s own magic should it have some.
The ambulance took its time and even my spell couldn’t make it faster. All I could do was prevent the gynecologist from panicking. Waves of soothing magic flowed through the rooms, arduously avoiding Shelly. But once the ambulance arrived, everything went fast. Shelly was carried downstairs on a stretcher, and I followed with knees too shaky to manage the stairs without clinging to the handrail. The ambulance headed to the nearby motorway with flashing lights and siren, while my daughter screamed in pain, still clinging to my hand. I tried to make myself as small as possible to not obstruct the doctor and his helpers. The baby arrived soundlessly three minutes before we reached the hospital.
“That doesn’t look good.” The doctor’s face was grim as he cut the cord. My heart seemed to stop beating. I barely dared to look at the rather bluish looking limp body in his hands. “Oxygen. And a tenth of a unit …”
I ignored the doctor’s gobbledygook and concentrated on my daughter. I closed my hands around her wide eyed face. Finally I could help. My magic tugged at her worry, smoothing it out and adding a little hope here and there. “Keep breathing. There’s nothing we can do but hope.” We closed our eyes and ignored the clattering of instruments and the babbling of the paramedic. If we lost the baby, I’d probably never be able to create a bubble of hope again. So we clung to our own little bubble. It was all I could do to keep it up. Shelly’s heart beat the same fearful-hopeful rhythm as mine.
The ambulance screeched to a stop.
“We’ve got her!” The relief in the doctor’s voice was palatable. Very gently he placed the wrapped baby into Shelly’s arms. A content, pink face with the bluest eyes anyone had ever seen stared at us, and a wave of happiness hit me. The baby was magical, and breathing, and moving her tiny fingers, already weaving her spell on us. As I hobbled after the stretcher that was wheeled to a lift, my smile couldn’t have been wider. I whispered to my daughter, “I guess it’s time to think about a name for her.”
Es ist wieder Zeit für den vierteljährlichen Bloghop. Dieses Mal habe ich es ein klein wenig anders gemacht, denn Ostern haben meine Brüder (ich habe drei) und ich mit technischem Schnickschnack herumgespielt, das sich einer von ihnen besorgt hatte. Wir machten ein paar schräge Fotos, und ich fügte eines davon dem Ende der Geschichte hinzu. Da es die Pointe ist, empfehle ich, es nicht anzusehen, bevor du die Geschichte gelesen hast. 😀
Als ich clever war…
Als ich an jenem Morgen in unsere Küche taumelte und übernächtigt auf die Holzmöbel und steinerne Arbeitsplatte starrte, gab mir mein Vater eine NewReality™ Brille.
„Es wird Zeit, dass du die Welt mal mit anderen Augen siehst“, sagte er und verschwand. Ich glaube, er ging zur Arbeit, aber sein plötzliches Verschwinden gruselte mich etwas.
Da mein Gehirn auf Grund von Schlafmangel (ich hatte die halbe Nacht ein 3D Virtual Reality Game gespielt) noch nicht voll da war, setzte ich sie auf … und die Welt veränderte sich schlagartig. Jetzt stand ich in einer Küche aus weißem Marmor und Chrom. Wo meine Müslischale gestanden hatte wartete jetzt ein Teller mit kunstvoll verzierten Pfannkuchen. Ich stopfte mich voll, war aber ein wenig enttäuscht, dass sie wie Müsli schmeckten.
Der Weg zur Schule hatte sich ebenfalls verändert. Der Schulbus war nun eine schicke Limousine, meine Klassenkameraden trugen edle Anzüge oder Rock und Bluse, alle mit Schlips. Wenn sie mich ansahen, lächelten sie, als wären sie meine Freunde. Da ich wusste, dass das nicht so war, ergab das Lachen hinter meinem Rücken irgendwie Sinn. Ich hatte nur keine Ahnung, worüber sie lachten.
In der Schule sank ich auf den Stuhl neben meinem besten Freund. Er grinste mich an.
„Mensch, siehst du lustig aus“, sagte er. „Du hättest dein Handy mitbringen sollen. Dann könnten wir Fotos machen.“
„Das ist nur meine neue Brille“, antwortete ich. So schlimm konnte sie doch nicht aussehen, oder?
Erst als der Lehrer eintrat fiel mir auf, dass ich meine Schulbücher vergessen hatte. Wenigstens hatte ich die Hausaufgaben mit, so dass ich keine Abmahnung bekam, aber alle lachten über mich. Und wenn ich „alle“ sage, meine ich auch alle.
Auf meinem Weg durch die Pausenhalle zu meiner nächsten Unterrichtsstunde, kamen Leute, die ich kaum kannte, um mich zu begrüßen. Solange ich sie ansah, lächelten sie nur. Aber sobald sie mich an den Nächsten weiterreichten, platzten sie vor Lachen – sogar die Lehrer kicherten, wenn sie an mir vorbei kamen. Das sah ich zwar nicht, hörte es aber.
Nach der zweiten Pause hatte ich genug. Obwohl ich wusste, dass ich später gewaltigen Ärger bekommen würde, schlich ich mich vom Schulgelände und machte mich auf den Heimweg. Dabei starrte ich auf den Boden, damit möglichst wenig Leute mein Gesicht sehen konnten. Was machte die neue Brille damit, dass alle Welt so furchtbar heftig lachen musste?
Ich bog um eine Ecke und hielt überrascht inne. Versehentlich war ich in die falsche Richtung gegangen. Meine Wangen wurden heiß und ich drehte wieder um. Ich hatte das Schultor kaum erreicht, als ein Wagen neben mir hielt. Für mich sah er aus wie ein nagelneues Cabrio, aber es klang wie ein Roboter mit Asthma. Die getönte Seitenscheibe des Fahrers senkte sich, und das Gesicht meiner Mutter lächelte mich an. Sie wirkte wie ein Engel in ihrem blauen, fließenden Abendkleid, also lächelte ich unwillkürlich zurück.
„Steig ein“, sagte sie und ich gehorchte wortlos.
In unserer neuen Küche befahl sie mir, mich auf einen Stuhl zu setzen, und bereitete mir einen Kakao und sich selbst einen Kaffee zu. In meinem Magen bildete sich ein Eisklumpen. Ich wusste, dass es jetzt Ärger gab. Trotzdem war sie immer noch am Lächeln – oder veränderte es die Brille, so wie es die Küche verändert hatte?
„Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst mit deinen Spielen die Nacht nicht zum Tage machen?“ Ihre Stimme klang kalt und fern, aber ich spürte die darunterliegende Wut. Ich ließ den Kopf hängen und entschuldigte mich, aber das reichte nicht. „Und jetzt trägst du diese blöde Brille auch noch zur Schule! Weißt du denn gar nicht, wie dämlich das aussieht?“
„Die hat Papa mir heute morgen gegeben“, protestierte ich.
„Das ist unmöglich.“ Jetzt klang Mama eher genervt als wütend. „Er ist seit letzter Woche auf einer Dienstreise nach Paris. Hörst du denn nie zu, wenn ich dir etwas erzähle?“
Ich musste zugeben, dass zuhören nicht gerade meine Stärke war.
„Jetzt gib mir die, und dann ab ins Bett mit dir.“ Resignation beherrschte ihren Tonfall, obwohl das Gesicht, das ich sah, immer noch lächelte. „Ich schreibe deinem Lehrer eine Entschuldigung. Aber diese Woche wird nicht mehr damit gespielt.“
Ich stöhnte auf, nahm aber die Brille ab. Schlagartig verwandelte sich das blaue Kleid in die ausgewaschenen Jeans und das zu große T-Shirt, das sie so gerne trug. Ich gähnte und reichte ihr widerwillig die Brille.
„Pass auf. Ich zeig dir mal, wie dämlich du damit ausgesehen hast“, sagte sie und setzte sie auf. „Du meine Güte. Wie konntest du damit überhaupt etwas sehen? Es ist ja alles völlig verschwommen.“
Ich wunderte mich über ihre letzte Bemerkung, doch als ich in ihr Gesicht mit der Brille sah, musste ich einfach lachen.
So clever wirkte Mama mit der Brille. Ich frag mich, wie ich aussah.
Das war die Geschichte. Ich hoffe sie hat euch gefallen. Und hier sind die Links zu den anderen Teilnehmern des Bloghops. Wenn es so läuft wie bei den anderen Hops, dann sind mal wieder eine Menge Perlen darunter. Lasst sie euch nicht entgehen:
„Vermisst du die Arbeit nicht?“, fragte ich Melinda.
„Ich lebe hier gerne alleine mit dir.“ Meine Tochter legte einen weiteren geflickten Socken beiseite. „Und vergiss nicht, dass uns die Inquisition hier niemals finden wird.“
Ich lächelte sie an, um ihr zu zeigen, wie sehr sich sie liebte, doch insgeheim sehnte ich mich nach etwas mehr, als nur zu überleben. Mit einem Seufzer spann ich weiter.Der regelmäßige Rhythmus und Melindas Atemgeräusche entspannten mich, so dass die innere Unruhe nachließ. Die Ruhe unserer Abendroutine wurde erst unsanft unterbrochen, als etwas Schweres gegen das Fenster unserer kleinen Hütte donnerte. Da es draußen dunkel war, konnten wir nicht erkennen, was es war. Meine Finger hörten automatisch mit dem Spinnen auf und wir hielten beide die Luft an, fürchteten dasselbe. Aber kein Schrei war zu hören, keine Forke oder Fackel zu sehen. Etwas erleichtert, aber immer noch misstrauisch rief ich: „Wer ist da?“
„Schon-nnr üfung.“ Die Stimme klang, als würde jemand etwas im Mund halten und versuchen, darum herum zu sprechen. Melinda sah mich an, und ich sah Melinda an.
„Ich kenne jemanden, der so spricht“, flüsterte ich. „Aber die Stimme ist anders.“
Wer auch immer vor unserem Haus stand klopfte erneut gegen die dünne Scheibe, die den Wind von uns fern hielt. Wenn sie zerbrach würde der Winter seine eisigen Finger in unser Haus schicken, also stand ich auf, um zu öffnen. Vorher hielt ich aber am Herd und nahm das größte Messer, dass wir besaßen. Ich ließ es in dem Moment fallen, als die Tür aufschwang und den Blick auf einen etwa menschengroßen Drachen mit roten Schuppen freigab, dem ein Stoffbündel aus dem Maul hing. Als er Melinda hinter mir stehen sah, nahm er das Bündel in die Pranken und bewegte die Kiefer von einer Seite zur anderen, um die Muskeln zu lockern.
„Ich verstehe nicht, warum der Boss darauf besteht, dass wir sie ihm Maul transportieren sollen“, sagte er und reichte ihr das Bündel. „Sonderlieferung für dich. Die Neu Storch GmBH sendet ihre Glückwünsche. Ein Willkommensbonus ist der Lieferung beigefügt.“
Mit zitternden Fingern öffnete Melinda das Bündel.
„Es ist ein Junge“, sagte der Drache unnötigerweise. „Und Windeln sind auch dabei.“
Melindas Gesicht spiegelte den Schock, der mich hatte erstarren lassen. Ich musste mich mehrfach räuspern, bis ich endlich die Sprache wiederfand.
„Warum schickt uns Storch ein Baby? Wir haben keines bestellt.“
„Neue Regeln.“ Der Drache lächelte und zeigte dabei mehr Zähne als ich im Augenblick vertragen konnte. Ich schluckte, und er lächelte noch breiter. „Wir haben noch ein paar Restposten, die auf die alte Art transportiert werden müssen. Deine Tochter war eine jener Empfängerinnen, die Storch persönlich ausgewählt hat.“
„Restposten? Komm herein und erläutere das.“ Ich trat beiseite. Solange ich mich erinnern konnte war ich eine von Storchs Helferinnen gewesen, hatte das Handwerk der Hebamme von meiner Mutter gelernt und an meine Tochter weitergegeben. Dennoch, seit die Inquisition begonnen hatte, Hebammen als Hexen zu verbrennen, waren wir untergetaucht. Bis jetzt mit Erfolg.
Der Drache rollte sich auf dem Flickenteppich in der Nähe des Herds zusammen und genoss die Wärme des Feuers. Er ließ ein paar glückliche Rauchkringel aufsteigen, bevor er sprach.
„Storch hat viele seiner Mitarbeiter verloren, als die Inquisition beschloss, dass Auslieferungen durch Störche nicht existierten und dass jeder, der daran glaubte, abergläubisch und somit zu bestrafen sei. Danach fingen Leute an, auf Störche zu schießen. Vermutlich weil sie hungrig waren.“ Er starrte eine Weile in die Flammen, so dass ich das Spinnen wieder aufnahm. Er seufzte zufrieden. „Wie ich schon sagte hat Storch auf diese Art viele Mitarbeiter verloren, also entschloss er sich, den direkten Weg zu wählen, der nicht auf Storchtransporte angewiesen war. Ich hab ihm gehofen, das System zu installieren. Dafür war eine Menge Magie nötig, glaubt mir.“
„Na ja, die Samen werden bereits geerntet, wenn sie noch im Einzellstadium sind, und ein magischer Schlauch schickt sie auf direktem Weg in den Bauch der Mutter. Es ist ein Wunder. Wirklich.“ Er polierte seine Krallen und sah selbstzufrieden aus. „Und ich spielte eine große Rolle beim Entwickeln dieses Projekts, wenn ich mal so sagen darf.“
Wie konnte Storch Babies direkt zu den Müttern bringen? Noch dazu in ihre Bäuche, wenn ich das recht verstanden hatte. Meine Augen weiteten sich, als ich begriff, was das bedeutete.
„Wenn er das Paket in die Mutter hinein schickt, muss es irgendwann ja auch wieder heraus, oder?“
„Jup. Und genau darum lädt er dich zu einer Weiterbildung zum Thema ‚Geburt‘ ein. Das ist kurz für ‚Ganzheitlich Erleuchteter Binärer Uterus Radikal Transport‘, dem Namen der neuen Technik. Die Teilnehmerinnen des Kurses müssen das Wissen dann verbreiten.“
Mit einem Mal sah ich mein restliches Leben vor mir – stets unterwegs, um Frauen mit der ‚Geburt‘ zu helfen und Storchs neue Verteilungsmethode im Land zu verbreiten, so gut ich konnte, während ich stets auf der Hut vor der Inquisition sein musste. Ab und an würde ich Melinda besuchen, die hier bleiben musste, um sich um ihren Sohn zu kümmern. Schlagartig war das Leben wieder aufregend.