Wenn du in letzter Zeit meine Blogbeiträge gelesen hast, wirst du wissen, dass mir bisher gelingt, meine Jahreschallenge (ein Buch pro Monat zu veröffentlichen) einzuhalten. Lest gerne noch einmal die vorherigen Blogbeiträge zu den Neuerscheinungen. Jetzt ist es aber Zeit für den vierteljährlichen „Storytime Bloghop“. Es gibt wieder kostenlose Flash Geschichten von mir und 9 Mitstreitern. Hoffentlich gefällt euch meine Geschichte, obwohl sie etwas länger als üblich ist. Und denkt wie immer daran, die anderen Geschichten zu lesen (leider nur auf Englisch). Eine Liste mit Links findet ihr unter meiner Geschichte.
Der Hüter des Sandvipertempels
Es war einmal ein Land mit Sand, und Sand, und Sand, und Sand, und Sand.
Gaspard stand am Eingang des Tempels der Sandgöttin, die fünf Finger seiner rechten Hand fest um den Speer geschlossen und die beiden nackten Füße in leichtem Abstand in den warmen Sand gegraben. Er hielt Ausschau nach Pilgern, erwartete aber keine. Die Knochen der letzten Person, die den Weg durch das endlose Sandmeer gewagt hatte, waren vom ewigen Wind längst zu Staub zermahlen. Nach Aussage der Göttin war er ein böser Mann gewesen, der vor lauter Gier nach Gold seine Frau schlug und sein eigenes Kind beinahe getötet hätte.
Als ob Gold irgendeinen Wert hätte. Gaspards größter Traum war es, einmal im Leben irgendeinen Fremden zu treffen, aber die Chancen dafür waren gering. Er fragte sich, was aus seiner Vorgängerin geworden war. Hatte sie je eine Welt mit mehr Farben gesehen als Schattierungen von Braun, Beige, Weiß und Blau? War sie gestorben? Oder nur vor ihrer Aufgabe geflüchtet?
Er stellte sich vor, wie es wäre, endlich Wesen wie die zu treffen, die er aus den Büchern kannte die ihm die Göttin zum studieren gab. Ihn faszinierten die Langhornantiloppen von Quasrom mit ihren schlanken Hälsen und den drei-fingrigen Händen genauso wie die fliegenden Waale von Whattler III oder die gefiederten Dinosaurier von Permia.
Der Klang der letzten Sirene riss ihn aus den Gedanken.
Besucher?
Auf dem letzten Hügel vor dem Tempel, wo die Sirene mit Magie auf einer Sandsäule stand, hob eine Gruppe Praying Mules die spitzen Vorderhufe im Gebet. Die langen Ohren mit dem weichen Fell fielen ihnen auf den Rücken, als sie ihre Gesichter mit den langen Schnauzen gen Himmel hoben. Die weichfelligen, aufrechten Körper schienen kerngesund.
Gaspards Unterkiefer fiel herunter. Selbst in seinen Büchern waren Qumrander kaum mehr als ein Gerücht. Das Fell auf ihren Wangen und an der Schnauze leuchtete in der grellen Sonne beinahe weiß. Wenn Gaspards Bücher recht hatten, zeigte das an, dass sie von Adel waren.
Nach einer Weile beugten sich vier der Praying Mules vor und hoben etwas Weißes, Kuppelförmiges auf, das sie zuvor abgesetzt haben mussten. Der fünfte ging voraus. Alle trugen nur noch Lumpen, die kaum ihre Hüften bedeckten, aber die zahlreichen Wasserschläuche, die sie umgehängt hatten, zeigten Gaspard, dass sie gut vorbereitet waren.
Staunend sah er zu, wie die Gruppe die letzten hundert Meter der Sandwüste auf die gigantische Klippe aus prähistorischem Sand zuging, in der der Eingang des Tempels lag.
Die weiße, kuppelförmige Struktur, stellte sich als eine Trage mit einem Dom aus weißen Stoffen heraus. Sie sangen die alten Lieder, Melodien, die Gaspard bisher nur sich selbst hatte singen hören.
Die Mules kamen zügig näher, und Gaspard fiel erst im letzten Moment seine Aufgabe wieder ein.
“Halt, im Namen der Göttin!” er senkte den Speer und zeigte mit der Spitze auf die muskulöse, behaarte Brust des Anführers. “Was ist euer Begehr?”
Einige Herzschläge lang sprach niemand. Gaspard fragte sich, ob er trotz seines Trainings mit fünf offensichtlich zielstrebigen Praying Mules fertig werden würde.
“Wir kommen, um mit der Göttin zu verhandeln”, sagte der Anführer.
Bevor Gaspard antworten konnte, erhob sich eine Sandviper neben ihm, die genauso groß war, wie die Praying Mules. Ihre Obsidianschuppen zischten leise, als der Sand ihren Körper hinab rann. Gaspard musste sich zwingen, nicht zusammenzuzucken. Es war bereits einige Zeit her, dass die Göttin in ihrer Lieblingsform erschienen war.
“Ich habe so furchtbar lange auf dich gewartet, Gardella,” sagte sie mit ihrer warmen, melodiösen Altstimme. “Hast du je darüber nachgedacht, was deine Abwesenheit für ihn bedeutet?”
Der weiße Stoff der Kuppel wurde von einer Hand mit fünf Fingern beiseite geschoben, die die Farbe von nassem Sand hatten. Zum Vorschein kam eine schlanke Person ohne Fell mit langen schwarz-weiß gemischten Haaren. Anders als die seitwärts ausgerichteten Augen der Mules blickten ihre nach vorn, und es gab eine klare Trennung zwischen ihrer Nase und dem Mund. Ein ähnliches Gesicht sah Gaspard jeden Morgen im Spiegel.
Es fiel ihm schwer, die menschliche Frau nicht anzustarren. Sein Herz raste und aus unerfindlichen Gründen fürchtete er sich mit einem Mal. Er trat dichter an den waren Körper der Sandviper heran und ihre Schwanzspitze streichelte beruhigend seinen Rücken auf eine Weise, die für die Besuchergruppe unsichtbar sein musste. Gaspard war dankbar und entspannte sich etwas.
“Ich wollte längst zurück sein,” sagte die Frau, die Gardella hieß. “Doch ich wurde krank. Und nachdem ich mich erholt hatte, wollte mich das Oberkommando nicht gehen lassen. Sie versetzten mich in einen völlig anderen Quadranten und behaupteten, ich sei durch den Verlust meines Mannes und Kindes traumatisiert. Als ich die Truppe verließ, machten siemir das Reisen schwer. Ohne diese wunderbaren Leute,” sie zeigte auf die Praying Mules, “hätte ich es gar nicht geschafft, zurückzukommen. Es tut mir leid, Zulussa.”
Die große Schlange zitterte. Weinte sie? Gaspards Kehle wurde trocken. Was hatte das zu bedeuten?
“Er gehört jetzt mir. Ich habe ihn erzogen. Ich habe die Zeit für ihn verlangsamt, damit er heilen und leben konnte.” Die Stimme der Göttin bebte. “Ich werde um ihn kämpfen.”
Gardella schwang die Beine von der Trage und humpelte vorwärts. Einer ihrer Füße war verdreht und klobig wie eines der fossilisierten Wesen im Sand des Tempels. “Ich bin nicht gekommen, um dir dein Kind zu nehmen.” Sie lächelte, aber ihr Blick blieb traurig. “Mein Kind.”
Während sie Tränen weg blinzelte, zerbrach Gaspards Welt, als wäre der Boden unter seinen Füßen mit einem Mal verschwunden.
“Ich war dir keine Mutter, Gaspard. Ich hatte nie die Chance dazu.” Ihr Blick traf seinen und ihre Liebe umfing ihn genauso wie Zulussas, die er immer als selbstverständlich angenommen hatte. “Aber ich bin gekommen, um die die Freiheit zu geben, andere Welten zu bereisen. Die Praying Mules schulden mir viel. Sie werden alles für dich tun und dir alles zeigen.” Sie wandte sich an die Göttin. “Und ich werde bei dir bleiben, Zulussa. Solange ich noch lebe, wirst du nicht mehr alleine sein. Außerdem habe ich tonnenweise neue Geschichten zu erzählen.”
Die Sandviper veränderte die Form, und eine rundliche Frau mit sandfarbenen Haaren und einer Haut aus Obsidian schlang die Arme um Gardella. “Ich habe dich so sehr vermisst, Liebste.”
Und mit einem Mal ergaben die vielen kleinen Puzzleteile für Gaspard einen Sinn. Der namenlose Mann, dessen Knochenstaub der Wind davongetragen hatte, die Göttin, die seine Mutter war, und die Abwesenheit seiner Mutter. Sein Herz schwoll und füllte sich mit Liebe für die beiden Frauen, die seine Familie waren. Ja, er würde mit den Mules gehen. Er würde den Leuten da draußen von einem vergessenen Tempel im Sand erzählen, und bei seiner Rückkehr wäre Einsamkeit für sie alle kein Thema mehr.
Wen dir die Geschichte gefallen hat oder du irgendetwas anderes auf dem Herzen hast, schreib mir einen Kommentar. Ich antworte, so schnell ich kann. In der Zwischenzeit lies doch ruhig die anderen Geschichten:
The Right Tracks by VS Stark
The Last One by Jemma Weir
The Pooka Plays Pool by Nic Steven
The Longest Night by Sabrina Rosen
Near Success by Bill Bush
Alexa by Barbara Lund
What They Wanted by Karen Lynn
Night at the Museum by Vanessa Wells
TRIBULATION Culled, eclipsed by COVID19 (A Poem) by Juneta Key
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